Elisabeth von Samsonow, in: „Waidhofner Begegnungen“
Zu Prähistorie und Wirkung der Raumzeichnungen von UWE HAUENFELS

In: Theresia Hauenfels/Silvie Aigner (Hrsg.), Programm: Text. Schrift als Form - Kunst als Poesie, Wien, Edition Praesens 2007 (=res urbanae. Waidhofner Begegnungen 1)
Textauszug

Es gibt einen Ort, der sich allem Anschein nach dem Diktat des ubiquitären Textes entzieht, der sich gegen den Strich verhält, der die „Gegenfunktion“ bzw. ein älteres, „reifiziertes“ Medienregime konserviert. Die Wunderkammer indiziert, so könnte man argumentieren, dass die Geltung des Schriftmodells nicht ganz absolut zu nehmen ist wie von mir angenommen. Denn in der Wunderkammer sei eine Maschinerie am Werk, die eben nicht mit der Schrift operiere, sondern eben mit Gegenständen, mit Dingen, mit leibhaftigen Sachen und deren möglichst sensationellem Bildwert. In der Wunderkammer, so könnte man, die These Bredekamps aufnehmend, sagen, wird der Hegemonie des Bildes ein Experimentallabor geschaffen . Hier habe man eine Anstalt, die visuelle Assoziations- und Denkvorgänge, die den Sprachsystemen vorauslaufen, schult . Bredekamp hat die Bedeutung, die die Wunderkammer für die Memoria hat, gewürdigt ; er schreibt den Objekten eine Bildhaftigkeit zwischen Begriffssprache und "esoterischen Bildern" zu . (…) Betrachtet man nämlich das Wunderkammerobjekt aus der Perspektive jener hieroglyphischen Text-Vision, dann läßt sich seine Funktion für die Sehnsucht nach archaischer Texttiefe leicht begreifen. Die Objekte der Kammer vertreten gewissermaßen nur das Hieroglyphische an den Zeichen, und zwar unter dem Horizont einer universalen ersten Schrift. Die Kammer folgt darin der Anordnung, die seit Ciceros Definition des topos als Fundstelle des Thesaurus Regulativ der Gedächtnisordnung gewesen ist. Sie ist als Gazophylacium tatsächlich nichts anderes als die Darstellung mnemonischer Potenz: der Schatz der Kammer entspricht dem Schatzhaus der Memoria. (…). Man könnte sagen, dass die von Schlosser aufgezählten Inventargegenstände wie etwa Meteorsteine, Gigantengebein, Siegesstatuen, zweifelhafte Lebewesen in getrocknetem oder eingelegtem Zustand, Reliquienkästen und seltene Trophäen aus dem Thesaurus Memoriae in die Kammer entlassen worden sind: als eine Überfülle von Kryptogrammen, die zu ihrer Übersetzung einladen. (…)

Die Wunderkammer ist also die "Versetzungsanstalt", der Ort, an dem das Früher der Schrift gilt, an dem die Relevanz der urtümlichen Hieroglyphenhaftigkeit der Objekte in Szene gesetzt wird. Wir sehen hier also etwas, dem wir keinen Namen geben können und sind deswegen gewissermaßen erkenntnistheoretisch erregt.

Uwe Hauenfels` Plastiken schreiben sich buchstäblich diesem Zusammenhang, der die Wunderkammer mit der Schriftlichkeit verbindet, ein. An die Stelle der Kammer ist die Galleria/ die Galerie getreten, die ja ihre Vorfahren in der Gattung jener Räume, die den besonderen Bewusstseins- oder Wahrnehmungszustand zu produzieren unternahmen, hatte. Die dreidimensionale „Schrift“ ist ein Echo auf die Kryptogramme, die in das Wunder einführen. Die Nicht-Lesbarkeit ist für diese plastische Rätselschrift verbindlich. Das große Format des Graphen in der Plastik von Uwe Hauenfels zitiert das „Gigantengebein“ (etwa vom „Riesentor“ des Stephansdomes, welches seinen Namen von einem gewaltigen Gebein herleitete, das in dem Bogen hing), das zum Inventar der Kammer gehört hat: die Monstrosität des Graphen macht ihn zum erhabenen Ding, zum Maß des Immensen, welches Raum und Sinn ist.